Corona im Iran “Geschichte des Versagens und Vertuschens”

Die Corona-Pandemie trifft den Iran mit voller Wucht. Was zu tun ist, war und ist klar. Doch viele Menschen ziehen nicht mit – offenbar auch wegen des bisherigen politischen Durcheinanders im Kampf gegen das Virus.

Von Uwe Lueb, ARD-Studio Istanbul

Die Corona-Pandemie im Iran kann man in etwa so zusammenfassen: Es ist eine Geschichte des Versagens, Versäumens und Vertuschens. So hart formuliert es Wilfried Buchta, Islamwissenschaftler und früherer Nahost-Analyst der UNO. Ein Blick auf die jüngsten Entwicklungen im Land erweckt den Eindruck, dass er Recht hat. Der Iran eilt von einem Corona-Rekord zum nächsten.

Mehr als 300 Corona-Tote zählt das Land derzeit – täglich. Die wahre Zahl liege zweieinhalb Mal darüber, sagt der wissenschaftliche Berater in Sachen Corona, Masood Mardani, einer iranischen Nachrichtenagentur. Damit wären es fast 1000 pro Tag. Und das bei ungefähr genauso vielen Einwohnern wie in Deutschland. Von den Infiziertenzahlen ganz zu schweigen. Dabei wird im Land nicht annähernd so viel getestet wie in Deutschland – etwa vier Mal weniger.

Bewusstsein für das Virus fehlt noch

Warum die Krise im Iran so aus dem Ruder läuft, erklärt der Epidemiologe Ali Haghdoost im iranischen Fernsehen so: “Um so eine nationale Krise noch in den Griff zu bekommen, müssen wir uns besser koordinieren. Dafür müssen wir vor allem die Bedrohung durch das Virus verstehen. Und zwar auf allen Ebenen: in Regierungs- und Nicht Regierungseinrichtungen und bei den Menschen im Land.” Bisher habe man die Gefahr nicht verstanden. Das Bewusstsein fehle noch.

Aber das ist es nicht allein. Hinzu kommt: Wer jetzt wegen Corona ins Krankenhaus müsse, sei in einem ernsteren Zustand als noch während der ersten Welle und im Sommer, sagt Krankenhauschef Taghi Riahi: “Wegen der Kapazitäten und Möglichkeiten der Krankenhäuser steigt mit den schwereren Verläufen auch die Zahl der Toten. Als Ergebnis haben wir nun einen neuen Negativrekord.”

Verzweifelter Gesundheitsminister

Es ist das Ergebnis von Behördenwirrwarr, Eitelkeiten von Zuständigen und Machtkämpfen – begleitet von einem Streit um das verhältnismäßig knappe staatliche Geld. Und es geht um Politik. Erst beachtet Präsident Hassan Rouhani das Coronavirus so gut wie gar nicht, weil er es sich mit den Chinesen nicht verderben will – der wichtigsten verbliebenen Stütze der iranischen Wirtschaft. Dann behauptet der oberste Religionsführer, Ayatollah Khamenei, die USA hätten das Virus entwickelt, um dem Iran zu schaden.

Bei so viel Durcheinander verwundert es kaum, dass nicht genug Menschen mitziehen. Gesundheitsminister Saeed Namaki beklagt in einer Rede: “Vor ein paar Tagen habe ich mir angeschaut wie es auf den Straßen aussieht. Fast jeder Zweite fährt im Bus ohne Maske.” Namaki weiß, was zu tun ist. Nur durch Vorbeugung sei dem Virus beizukommen. Damit meint er das, was in Deutschland unter den AHA-Regeln zusammengefasst wird – Abstand, Hygiene, Alltagsmasken. Als nächstes will der Minister Kontakte von Infizierten konsequent nachverfolgen, um Infektionsketten zu durchbrechen.

Ruf nach härteren Strafen

Dabei könnte man schon viel weiter sein, platzt ihm der Kragen: Die Menschen hielten sich nicht an Vorgaben – und die Behörden kontrollierten zu wenig. “Mit großem Personalaufwand sollte jeder bestraft werden, der keine Maske trägt. Und jetzt schauen Sie mal, wie viele bestraft worden sind. Wir haben gebeten, Straßen zu sperren – und wie viele sind gesperrt worden?” Das sei keine Art mit einer Epidemie umzugehen.

Namaki will jetzt retten, was noch zu retten ist. Doch viele fürchten, dass er nicht gehört wird. Kritiker sagen daher, er solle lieber zurücktreten. Das würde auf die oberste Führung des Landes mehr Eindruck machen als seine Appelle.