Klageschrift einer verfolgten Religionsgemeinschaft

IranJournal Von Iman Aslani:

Religiöse und politische Persönlichkeiten und Institutionen aus vielen Ländern haben die Beschlagnahmung des Eigentums von Bahá’í in Eyvel verurteilt. Die Enteignung und Vertreibung von Angehörigen der Religionsgemeinschaft aus dem nordiranischen Dorf begann bereits kurz nach der islamischen Revolution. Vor elf Jahren veröffentlichten Bahá’í-Frauen des Dorfes eine Klageschrift, die bis heute aktuell ist.

Im November 2020 entschied ein Gericht in der iranischen Provinz Mazandaran, dass die Inbesitznahme von Häusern und Ackerflächen der 27 Bahá’í im Dorf Eyvel durch muslimische Bewohner*innen des Dorfes rechtens sei. Seitdem hat dieser kleine Ort im idyllischen Norden des Iran die Aufmerksamkeit von Menschenrechtsaktivist*innen im In- und Ausland auf sich gezogen.

Das kanadische Außenministerium, Parlamentarier*innen, Kabinettsmitglieder und Kulturschaffende unter anderem aus Deutschland, den USA, Großbritannien, Spanien, Österreich und Indien sowie große muslimische Organisationen wie der Islamische Kongress der Vereinigten Staaten und der Rat der Imame von Kanada haben die Beschlagnahmung von Bahá’í-Eigentum verurteilt und die iranische Justiz aufgefordert, das Urteil aufzuheben.

In einem Video, das der Journalist Siamak Dehghanpour Ende Februar auf Twitter postete (s. unten), sprechen einige Bewohner*innen des Dorfs Eyvel über die Reaktion der Polizei und lokaler religiöser Funktionäre. Darin beschreibt etwa eine ältere Frau den Großeinsatz der Polizei zur Vertreibung der Bahá’í aus ihren Häusern. Auf die Frage: „Wohin sollen wir gehen?“ hätten die Beamten geantwortet: „Nach Israel!“, berichtet die Frau.

Die Enteignungen riefen in den vergangenen Tagen auch massive Proteste in den sozialen Netzwerken hervor. Insbesondere unter dem Hashtag #ItsTheirLand und #ایول_خانه_آنهاست machten User auf die unmenschlichen Ereignisse in Eyvel aufmerksam.

Die Klage der Frauen

Die Beschlagnahmung vom Land und Eigentum der Bahá’í ist Teil einer systematischen Unterdrückung dieser religiösen Minderheit durch die Islamische Republik. Dies sorgt ab und an für Schlagzeilen, findet jedoch normalerweise im Verborgenen statt. Auch in Eyvel plündern ultrakonservative Muslime seit vielen Jahren mit Unterstützung des islamischen Regimes das Eigentum von Bahá’í und zerstören ihre Wohnsitze.

Bereits 1983 wurden viele Häuser von Angehörigen der im Iran verfolgten Religionsgemeinschaft abgerissen. Den Bahá’í blieb keine andere Wahl, als das Dorf zu verlassen. Seitdem gibt es Anzeigen und Klagen gegen die widerrechtliche Aneignung von Eigentum, landwirtschaftlichen Flächen und Wohnhäusern von Bahá’í.

2010 griffen muslimische Fanatiker, angestiftet durch von der Regierung unterstützte Personen, erneut die noch im Dorf lebenden Bahá’í an. Damals veröffentlichten die Bahá’í-Frauen von Eyvel eine Klageschrift, deren Inhalt auch heute noch aktuell ist – nicht nur für die Bahá’í in diesem Dorf, sondern im ganzen Iran.

Darin heißt es: „Unsere Väter und Mütter haben dieses Dorf vor ungefähr 150 Jahren gegründet. Im Laufe der Zeit wuchs diese Gemeinde mit ihren kühlen und erfrischenden Wasserquellen und ihrem sommerlichen Klima. Vor vielen Jahren gab es sehr kalte und schwere Winterzeiten, die den Menschen das Leben erschwerten. Es gab weder moderne Heizgeräte noch Elektrizität oder Straßen. Unsere fleißigen und unermüdlichen Väter mussten die Ackerböden mit großer Mühe pflügen und säen. In der Erntezeit mussten unsere Mütter mit ihren schwachen und schmalen Händen ernten. Der Hausbau war sehr schwer. Unsere Mütter formten die Ziegel aus Wasser und Lehm und trugen sie nach dem Trocknen unter großen Schwierigkeiten auf die Baustellen. Steine wurden aus großer Entfernung mit der Hand oder auf Schulter transportiert. Unsere Väter holten Holz aus der Ferne, um damit Dächer zu errichten.

Vor ungefähr achtzig Jahren übernahm die Hälfte der Dorfbewohner*innen den Glauben der Bahá’í. Obwohl die anderen noch Muslime waren, lebten sie friedlich zusammen. Sie hielten zueinander in Trauer und Freude, in Not und Wohl. Gott weiß, wer unter ihnen Feindschaft gesät hat, dass die Bahá’í angefeindet, als ‚Ungläubige‘ abgestempelt und als unrein bezeichnet werden. Die Bahá’í mussten jede Art von Leid und Unterdrückung ertragen.

Das, was die Bahá’í für diesen Ort und für die Entwicklung dieses Dorfes geleistet haben, ist niemandem verborgen geblieben. Das Grundstück, auf dem die erste Schule gebaut wurde, das Grundstück, auf dem das Gesundheitshaus des Dorfs errichtet wurde, das Grundstück, auf dem die Reisdreschanlage installiert wurde, und sogar das Grundstück, auf dem die Trauerstätte für die muslimischen Bewohner*innen errichtet wurde, wurden von den Bahá’í gespendet. Kurz gesagt: Die Bahá’í haben stets den ersten Schritt gemacht, wenn es um die Entwicklung des Dorfes ging.

Nach der Islamischen Revolution 1979 fingen die Muslime des Dorfes mit Streit, Schikanen und Belästigungen an. An der Dreschanlage wurde der Reis der Bahá’í abgelehnt. Der Kleinbusfahrer, der die Menschen zwischen dem Dorf und der Stadt transportierte, weigerte sich unter dem Einfluss der Konservativen, Bahá’í zu befördern. Nicht einmal die Bahá’í-Grundschulkinder wurden von Belästigungen verschont.

Diese Probleme setzten sich fort, bis die muslimischen Bewohner*innen von Eyvel Ende Juni 1983 mit Hilfe von Bewohner*innen umliegender Dörfer die Häuser von Bahá’í stürmten und herzzerreißendes Elend hinterließen. Kinder und Erwachsene, Männer und Frauen, alt und jung, wurden aus ihren Häusern vertrieben. So sehr sie auch gerufen haben, dass sie ebenso Menschen sind, dass alle Menschen im Dorf Verwandte, Geschwister, Nachbarn sind, fand ihr Hilfeschrei kein Gehör. Alte Männer und Frauen, die nicht mehr laufen konnten, wurden gewaltsam und mit Beleidigungen aus ihren Häusern vertrieben. Viele wurden vor ihren Familienmitgliedern und vor ihren Kindern geschlagen. Selbst ihre Tiere wurden im Stall eingesperrt. Mit diesem Verhalten wollten die Angreifer*innen andere Menschen zum Islam einladen!

Die Bahá’í wurden aus dem Dorf getrieben. Als sie in der Stadt Sari ankamen, beschwerten sie sich bei der Polizei und kehrten nach Eyvel zurück. Die Muslime hinderten die Bahá’í jedoch daran, ihre Häuser zu betreten, und sperrten sie sieben Tage lang in der Trauerstätte ein. Wasser und Nahrung konnten sie sich nur nachts im Schutz der Dunkelheit besorgen.

Danach gab es unzählige Beschwerden und Klagen. Aber was nützte es, denn diese verliefen im Nichts. Nachdem wir im Namen des Islam vertrieben wurden, fingen Muslime an, unser Hab und Gut zu plündern. Sie beschlagnahmten die als „Margo“ bekannten ertragsstarken Ackerfelder, ohne den Besitzurkunden die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Bis heute haben wir uns nach all den Belästigungen und Unterdrückungen, die uns widerfahren sind, nicht an ihnen gerächt. Wir haben sie weder geohrfeigt noch verbal beleidigt. Wir suchten Zuflucht bei Gott, dem Allmächtigen, und Gerechtigkeit durch das Gesetz. Während der vergangenen 27 Jahre bewahrten wir trotz aller Schwierigkeiten die Hoffnung, dass es Menschen gibt, die Gerechtigkeit über alles stellen.
Jetzt, nach 27 Jahren, verbrennt die Flamme der Unwissenheit erneut unsere Häuser. 50 Wohnhäuser im Dorf wurden dem Erdboden gleichgemacht. Damit verschwanden die Andenken der jahrelangen harten Arbeit unserer Eltern von einer Sekunde auf die andere.

Wir, die Frauen und unsere Ehemänner, informierten die Bezirksverwaltung, das zuständige Gericht, die Polizeistation und die Gouverneursbüros, bevor die Häuser abgerissen wurden. Wir wurden jedoch ignoriert. Selbst während der Zerstörung haben wir uns an diese Instanzen gewandt. Sie unternahmen trotzdem nichts. Außer Gott, dem Barmherzigen, haben wir niemanden. Wen können wir um Hilfe bitten? Gibt es in dieser Welt eine andere Zuflucht als das Gesetz, bei dem wir seit 27 Jahren Schutz suchen? Wir wünschen uns, dass unser Hilferuf erhört wird.

Wir, die Frauen dieses Dorfes, die den Schmerz dieses Vorfalls mit ihren Ehemännern teilen, haben stets bewiesen, dass wir uns an das Gesetz halten. Wird jetzt das gleiche Gesetz uns Schutz bieten? Wir, die Bewohner*innen dieses Dorfes, dürfen sogar die Gräber unserer Vorfahren nicht besuchen, obwohl wir Besitzurkunden haben und unsere Eltern dort begraben sind. Ist das nach Gesetz und Religion erlaubt? Wir bitten Sie, die Behörden und Instanzen, ausdrücklich, sich um Ihre Bahá’í-Bürger*innen zu kümmern.“

Die geäußerten Meinungen spiegeln nicht unbedingt die des ITC wider!