Eine kurze Geschichte der Zwangsverschleierung im Iran

IranJournal Von Nasrin Bassiri:

Zum Frauentag erinnert Nasrin Bassiri an die Einführung des Schleierzwangs nach der islamischen Revolution und den bis heute währenden Kampf der Iranerinnen dagegen.

Kurz vor seiner Machtübernahme im Iran vor 42 Jahren hatte Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini die iranische Bevölkerung aus seinem Pariser Exil zur Einigkeit aufgerufen und verkündet, alle würden künftig „in Freiheit“ miteinander leben. Keineswegs müssten alle Frauen künftig Schleier tragen, sogar Kommunisten würden toleriert werden und frei leben und handeln können.

Zwei Wochen nach der Revolution rief er in einer Radioansprache die Iranerinnen dazu auf, ihr Haar in der Öffentlichkeit zu bedecken.

Diese Rede Khomeinis wurde ausgerechnet am 8. März, dem Internationalen Frauentag, ausgestrahlt. Wütende Menschen, Schülerinnen, Studentinnen, Krankenschwestern und Angestellte gingen daraufhin zu spontanen Demonstrationen auf die Straße – keine*r hatte zuvor geahnt, was der Revolutionsführer an diesem Tag verkünden würde.

Während Anfang, Mitte März im Iran gewöhnlich der Frühling beginnt und die Natur langsam aufwacht, blieb der 8. März 1979 auch damit in Erinnerung, dass an diesem Tag riesige Schneeflocken vom Himmel fielen, während Schülerinnen und Studentinnen gemeinsam mit ihren – zum Teil verschleierten Müttern mit ernsten, entschlossenen Gesichtern und geballten Fäusten durch die Teheraner Straßen zogen und der Obrigkeit, dem Himmel und den Passant*innen ihre Wut zeigten: „Wir haben nicht Revolution gemacht, um nun den Rückwärtsgang einzulegen!“

Kate Millett und die Revolution

Knapp 42 Jahre später kündigte das Online-Portal der Nachrichtenagentur Tasnim das zu seinem Ziel erklärt hat, die „islamischen Werte vor in- und ausländischen Angriffen zu schützen“ – eine Serie des staatlichen Fernsehens mit dem Titel „Die ewigen Tagen“ an, die ab Januar ausgestrahlt und aufdecken werde, welche Rolle die Schriftstellerin, Feministin und Bildhauerin Kate Millett bei der iranischen Revolution gespielt habe. Regisseur der Serie ist Javad Schamghadari, der von 2005 bis 2009 Kunst- und Kulturberater des Hardliner-Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad war und Werbefilme für dessen Wahlkämpfe gedreht hat.

Kate Millett im Interview nach der Rückkehr aus Teheran (Englisch):

Der US-Amerikanerin Kate Millett sei demnach befohlen worden, von den ersten Tagen der Revolution an in den Iran zu fahren und die Lage dort genau zu beobachten. Unter dem Deckmantel als Gründungsmitglied des „Komitees für freie Kunst und freies Denken im Iran“ habe sie Reden an diversen Hochschulen gehalten. Sie habe die Demonstration am 8. März 1979 selbst mit organisiert und dort und bei anderen Gelegenheiten vehement gegen die islamische Kopfbedeckung argumentiert, die sie als unvereinbar mit der Freiheit von Frauen betrachtete.
Später habe Millett auch einen Protestbrief iranischer Intellektueller gegen die Nichteinhaltung der Menschenrechte im Iran unterschrieben, so Tasnim.

Manche Details im Bericht der Webseite lassen Zweifel an dessen Richtigkeit aufkommen: So soll Millett mit drei iranischen Frauen 1979 am 19. Tag des persischen Monats Esfand – das ist der 10. März – zu einer Pressekonferenz im Hotel Intercontinental in Teheran eingeladen haben, um die Demonstration am 8. März zu organisieren: zwei Tage nach deren Stattfinden also. Auch der Verweis auf die Auswertung von Dokumenten aus der im November 1979 besetzten US-Botschaft in Teheran ist nicht schlüssig: Warum sollten diese Dokumente erst jetzt, 42 Jahre nach den Ereignissen, ausgewertet worden sein?

Demonstration der Frauen in Teheran gegen den Schleierzwang - 8. März 1979
Demonstration der Frauen in Teheran gegen den Schleierzwang – 8. März 1979

Von der Heftigkeit der Proteste überrollt

Die Reaktion auf die Wiedereinführung des Kopftuchs im März 1979 war so heftig, dass die Obrigkeit keine Chance sah, auf dem Schleierzwang zu beharren. Zumal einer der mächtigsten Geistlichen des Iran, der moderate Ayatollah Mahmud Taleghani, Khomeini den Rückzug nahelegte. Er sagte am 11. März 1979 laut einem Bericht der Tageszeitung Ettelaat vom Folgetag:

„Die Kopfbedeckung ist selbst für muslimische Frauen kein obligatorischer Akt, geschweige denn für Frauen, die religiösen Minderheiten angehören. … Die Frauen in unserem Land gehören zum aktiven Bevölkerungsanteil. Keiner will sie daran hindern, zu arbeiten. Der Koran und die Gelehrten wollen nur, dass die Würde der Frau nicht angetastet wird. Es gibt keinen Zwang. Wie haben die Frauen in unserem Land von Anfang an bis heute als Musliminnen in den Dörfern gelebt? Haben sie je einen Schleier getragen? Wer zwingt unsere Frauen, Schleier zu tragen? Ob sie ein Kopftuch anziehen wollen oder nicht, ist einzig und allein ihre Sache, niemand hat gesagt, dass sie das müssten. … Es geht hier gar nicht um den Schleier.“

Einen Tag darauf, am 13. März 1979, bekräftigte Khomeini Taleghanis Haltung zum Kopftuch, und die Frauen hörten auf, zu protestieren. Zwischen Ayatollah Khomeini und den Iranerinnen begann ein eineinhalbjähriger „Waffenstillstand“.

Druck auf Staatspräsident Banisadr

Im Juli 1980 übte Khomeini dann Kritik an Staatspräsident Abolhassan Banisadr, weil der bislang nichts in Richtung islamische Kleidung in Ministerien unternommen hätte. Er gewährte ihm zehn Tage Frist, um die Behörden von den „Resten der Schah-Ära zu säubern“. Banisadr gehorchte, doch bis zum allgemeinen Schleierzwang dauerte es noch ein weiteres Jahr. Khomeini nahm den Fastenmonat Ramadan im Juli 1981 zum Anlass, weitere Schritte zu veranlassen. Ohne ein entsprechendes Gesetz wurde angeordnet, dass öffentliche Orte Frauen keinen Zutritt mehr gewähren sollten, die nicht vollständig islamisch gekleidet seien. In Restaurants, Arztpraxen, Lebensmittel- und Buchläden hingen nun Schilder mit dem Hinweis: „Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft dürfen wir keinen Gästen und Kundinnen Zutritt gewähren, die sich nicht angemessen islamisch kleiden.“

Knapp zweieinhalb Jahre nach der Revolution wurde im Sommer 1981 der Schleierzwang auch auf der Straße mit Hilfe von Revolutionswächtern, Sittenpolizei und nicht zuletzt dem mit Messer- und Säureattacken operierenden Mob durchgesetzt.

Immer wieder protestieren iranische Frauen öffentlich in unterschiedlichen Formen gegen die Zwangsverschleierung
Iranische Frauen protestieren in unterschiedlichen Formen gegen die Zwangsverschleierung

Kleine Schritte zur Durchsetzung

Als erste mussten Fernsehmoderatorinnen ihre Haare bedecken, Lehrerinnen folgten. Sie mussten auch einen schwarzen Umhang tragen, um ihren Schüler*innen Vorbild zu sein. Für Schülerinnen ab dem Alter von sieben Jahren wurde ein Kopftuch zur Pflicht, das von einem Gummiband am Hinterkopf festgehalten wird, damit es beim Spielen und Sport treiben nicht verrutschen oder herunterfallen kann.

Nach Khomeinis Durchsetzung des Kopftuchzwangs für Mitarbeiterinnen in Behörden legten manche Frauen, die sich das leisten konnten, aus Protest ihre Arbeit nieder. Doch die Mehrheit musste sich den neuen Bedingungen unterwerfen. Viele brachten das Kopftuch in ihrer Tasche mit und setzen es erst vor dem Betreten ihres Arbeitsplatzes auf. Nach Feierabend wurde es wieder in die Tasche gepackt.

Später kam weitere Kleidervorschriften für Behördenmitarbeiterinnen dazu: Sie mussten lange, dunkle und weit geschnittene Mäntel tragen, darunter lange weite Hosen. Make up und Nagellack wurden verboten, ebenso Parfum. Bei der geringsten Abweichung wurden sie gerügt. Die Frauen wurden nicht mehr nur an ihren Arbeitsplätzen kontrolliert, sondern ebenso auf der Straße von Sittenwächterinnen, denen auch das Tragen von Stöckelschuhen als Sünde galt: Deren Geräusche könnten Männer erregen.

Netzkampagnen gegen den Kopftuch-Zwang:

Historischer Kampf

Der Kopftuchzwang wurde von iranischen Frauenrechtlerinnen bereits seit 1848 in Frage gestellt. Die Dichterin Tahereh Qurratu’l-Ayn hielt öffentliche Reden über die Grundideen von Babi-Religion und nahm 1848 auf einer Konferenz ihren Gesichtsschleier ab. Das kostete sie später allerdings ihr Leben: Sie wurde 1852 im Alter von 35 Jahren hingerichtet. Ihr folgten weitere Frauenrechtlerinnen und -verbände, die sich ebenfalls gegen die Verschleierung aussprachen und Aufklärungsarbeit leisteten.

Schah Reza, iranischer Herrscher ab 1925, ließ zu, dass Sängerinnen unverschleiert auftraten. Auch seine weiblichen Verwandten erschienen unverschleiert oder mit europäischen Hüten in der Öffentlichkeit. 1935 ließ er das Tragen von Kopftüchern und Schleiern für alle Frauen ganz verbieten. Entdeckten Polizisten eine verhüllte Frau auf der Straße, waren sie verpflichtet, den Schleier mit den Spitzen ihrer Bajonette entfernen.

Die dritte Generation

Heute lebt die dritte nachrevolutionäre Generation von Frauen im Iran – aber diese Frauen sind im digitalen Zeitalter aufgewachsen. Ihre Wünsche und moralischen Werte sind ebenso global wie ihre Lösungen und Forderungen. Sie fordern keine Gleichstellung, sondern nehmen sich, was sie brauchen: verschaffen sich den Weg in die Fußballstadien etwa einfach mit kurz geschnittenem Haar und angeklebtem Bart.

Sie nutzen alle Schlupflöcher, die ihnen offenstehen. Partys werden gefeiert in Gärten außerhalb der Städte oder auf Kurzreisen ins türkische Antalya, Reisebusse zu den Sehenswürdigkeiten im Iran werden bei zugezogenen Vorhängen zu fahrenden Discos, in denen die Kopftücher abgelegt werden, Alkohol getrunken und getanzt wird. Sie treiben Kampfsport, leben unverheiratet in so genannten „weißen Ehen“, spielen Fußball, fahren Skateboard, tanzen auf Teherans Straßen und singen in der Öffentlichkeit, obwohl Frauen das verboten ist.

Nicht selten geraten sie dabei ins Netz der Ordnungskräfte und werden verhaftet. Doch ob es den alten Herren an der Macht gelingt, sie mit hohen Haftstrafen zu bezwingen, ist ungewiss. Gewiss ist aber, dass sie die Unterstützung vieler iranischer Männer und ihrer Familien genießen.

Die geäußerte Meinung spiegelt nicht unbedingt die des ITC wider!