Der «Rat zur Regulierung des Übergangsn», Eine Alternative zur Islamischen Republik?

50 bekannte iranische Oppositionelle im Ausland haben mit Hilfe politischer AktivistInnen im Iran einen “Rat zur Regulierung des Übergangs“ zur Abschaffung der Islamischen Republik gebildet. Über dessen Ziele, Aufgaben und Herausforderungen sprach Iran Journal mit Dr. Mehran Barati, Stellvertreter des Generalsekretärs und Verantwortlicher für internationale Beziehungen des Rates.

Iran Journal: Herr Barati, kurz nach dem 40. Jahrestag der Revolution im Iran gründete sich der „Rat zur Regulierung des Übergangs“ nach der Auflösung des revolutionären Systems. Was war der Anlass?

Mehran Barati: Seit mehreren Jahren beobachten wir einen Auflösungsprozess der politischen Strukturen der Islamischen Republik, eine Konkurrenz unter den Verantwortlichen des Regimes, ihre Gegnerschaft zueinander, die Entstehung von mehreren Machtzentren und das Agieren dieser Machtzentren gegeneinander. Dazu kommt die Zuspitzung eines auswärtigen Konflikts, den die Islamische Republik mit der Weltgemeinschaft, insbesondere mit den USA, Israel und den arabischen Nachbarländern, hat. Dieser Konflikt hat auch zum wirtschaftlichen Niedergang des Landes geführt.

Zu all dem kommt die zunehmende Unzufriedenheit der Bevölkerung. Das alles hat dazu geführt, dass wir diese Initiative ergriffen haben, die den Übergang von der Islamischen zu einer demokratischen Republik einleiten soll.

Heißt das, dass sich der Übergangsrat die Auflösung der Islamischen Republik zur Aufgabe gemacht hat?

Nein, nicht der Rat allein. Wir haben den Anspruch, unterschiedliche oppositionelle Gruppierungen nach und nach zusammenzuführen. Wir wollen weit geöffnet sein für alle demokratischen politischen Strömungen im Iran, um letztendlich auf der Grundlage des zivilen Ungehorsams, der weit verbreiteten Protestbewegungen der Bürger, insbesondere der Lohn- und Gehaltsabhängigen, der Frauen, der Gewerkschaften, der Lehrer, der Studenten und der ethnischen Minderheiten das Ende des Regimes einzuleiten.

Wie haben sich die Ratsmitglieder gefunden?

Einige von uns kennen sich von ihren politischen Aktivitäten von früher, hauptsächlich von Anfang der 1980er Jahre. Andere sind neu dazu gestoßen. Wir haben eine erste Erklärung verfasst und an verschiedene politische Persönlichkeiten geschickt. Es hat über ein Jahr gedauert, bis der Rat gebildet wurde. Wir haben Kontakte zu den wichtigsten demokratischen oppositionellen Gruppen aufgenommen …

… zum Beispiel?

Zur liberalen „Nationalen Front“, also den Anhängern des früheren Ministerpräsidenten Mohammad Mossadegh, zu den sogenannten national-religiösen Gruppierungen, zu unterschiedlichen Gruppierungen ethnischer Minderheiten, Vertretern der unabhängigen Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Gruppen. Im Ausland haben wir Gespräche geführt mit Befürwortern einer konstitutionellen Monarchie, also Anhängern des ehemaligen Kronprinzen Reza Pahlavi. Das hat dazu geführt, dass viele, die eine derart bunte Mischung nicht für die richtige Alternative halten, sich ferngehalten haben. Wir sind aber dabei geblieben, dass wir ein breites Dach für eine plurale Opposition, Linke, Liberale, Konservative, National-Liberale, Säkular-Religiöse und andere brauchen.

Was sind die wichtigsten Punkte Ihres Konzepts?

An erster Stelle wollen wir in den nächsten Monaten einen Nationalkongress nach südafrikanischem Vorbild einberufen. Darin sollen Vertreter aller oppositionellen demokratischen Parteien und Gruppierungen, der Gewerkschaften, zivilgesellschaftlicher Gruppierungen sowie politische Persönlichkeiten und Kulturschaffende vertreten sein. Der Kongress könnte dann eine Art provisorische Regierung benennen.

Eine Exilregierung?

Nein, die provisorische Regierung müsste im Iran gebildet werden.

Um im Iran zu regieren?

Sie wird die Wahlen für die verfassungsgebende Versammlung vorbereiten und durchführen. Die Arbeit dieser Versammlung wird nach der Erstellung einer Verfassung beendet sein. Nach den Regeln dieser verabschiedeten Verfassung finden dann Parlamentswahlen statt. Die Art und Weise, wie die Regierung gewählt wird, wird durch die Verfassung bestimmt. Die Arbeit der provisorischen Regierung endet am Tage der Vereidigung der gesetzmäßig gewählten Regierung.

Sie erwarten, dass Irans Bevölkerung dieser Regierung folgen und sich für ihre Ziele einsetzen wird?

Die provisorische Regierung wird das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen müssen. Ohne dieses Vertrauen können die Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung nicht stattfinden.

Soll das Ganze vom Ausland aus geleitet werden?

Nein. Unsere Verbündeten im Iran werden ihre eigene Struktur und Organisation haben. Aus Sicherheitsgründen werden sie nicht direkt mit uns in Verbindung stehen. Wir haben aber Wege gefunden, unsere Kommunikation mit ihnen sicher durchzuführen. Sie werden im Iran agieren und wir im Ausland werden sie unterstützen.

Bereiten Sie eine Revolution im Iran vor?

Wir haben uns eines gewaltlosen Weges verpflichtet. Sogar die kurdischen Parteien wie Kumela, die Vertreter der Belutschen und der Araber, die in unserem Rat sind, haben sich unter anderem zwei wesentlichen Punkten verpflichtet: Verzicht auf Gewalt, und die territoriale Einheit des Landes. Das heißt aber nicht, dass etwa die Kurden sich nicht verteidigen dürften, wenn sie von Revolutionswächtern angegriffen würden. Wir sind uns einig, dass wir den Weg des friedlichen Protestes, des zivilen Ungehorsams gehen wollen, wie es auch bei der Revolution von 1979 geschehen ist. Sie war vonseiten des Volkes friedlich verlaufen.

Was hat die Revolution von 1979 für die Mehrheit der Bevölkerung gebracht, im Vergleich zur Zeit vor der Revolution?

Die Revolution von 1979 hatte keine genau definierte Zielsetzung. Außer der Gegnerschaft zum Schah-Regime gab es keinen Konsens zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen. Bei uns ist es anders. Wir verpflichten uns der Internationalen Erklärung der Menschenrechte und ihren Zusatzprotokollen, die von den Vereinten Nationen verabschiedet worden sind. Sie beinhalten Bürgerrechte, religiöse Freiheiten und die Rechte von ethnischen Minderheiten.

Nach der Revolution von 1979 wurden die Verantwortlichen des alten Regimes gefoltert, getötet oder vertrieben. Wie soll mit den Verantwortlichen des heutigen Regimes verfahren werden?

Darüber haben sich die Oppositionellen immer Gedanken gemacht. Unser Rat ist der Meinung, dass man mit allen politischen Gruppierungen innerhalb des Irans in Dialog treten soll, auch mit den Anhängern des Regimes. Ein Teil der demokratischen Opposition im Ausland hat die Reformisten innerhalb des Regimes unterstützt. Aber diese wollten sich nicht mit den säkularen Kräften zusammensetzen, um einen Ausweg aus der Misere zu finden. Das heißt, für uns ist eine einzige Möglichkeit geblieben, und das ist die Überwindung der islamischen Herrschaft. Es gibt genügend Beispiele, dass eine Zusammenarbeit von Teilen des Systems mit Oppositionellen möglich ist. Wir brauchen nur ins deutsche Nachbarland Polen zu schauen. Aber was dort möglich war, ist leider im Iran nicht möglich. Das islamische Regime will die Alleinherrschaft nach islamischem Recht und duldet keine Opposition.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass derartige politische Veränderungen in einem Land ohne die Hilfe aus anderen Ländern, besonders den USA oder mächtigen europäischen Ländern, nicht oder nur schwer zustande kommen. Hoffen Sie auf ausländische Hilfe?

Politische Veränderungen, die von ausländischen Mächten initiiert werden, haben nie Erfolg gehabt. Die Bewegung muss im Inneren entstehen. Wir haben keine Hoffnung, dass eine Bewegung im Iran durch die Unterstützung der USA, Saudi-Arabiens oder eines europäischen Staates zum Erfolg führt. Das ist illusorisch und auch nie unsere Absicht gewesen. Wir setzen nur auf die Kraft unserer eigenen Bevölkerung.

Die Gegnerschaft zu den USA ist in Teilen der iranischen Opposition nicht zu übersehen. Wie wollen Sie damit umgehen?

Wir haben keine Gegnerschaft zu den USA oder zu Israel. Und wir halten die Unterstützung der demokratischen Staaten in Europa für sehr wesentlich. Wir suchen die friedliche Koexistenz mit der ganzen Welt, insbesondere mit den Nachbarländern des Iran. Wir haben in unserem Programm sogar die Bildung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes mit den Nachbarländern und darüber hinaus mit Indien vorgesehen. Wir möchten Möglichkeiten schaffen, die Reichtümer dieser Region und ihr technologisches Können so zu organisieren, dass alle Länder dort sich ökonomisch entwickeln und voneinander profitieren können.

Was Sie sich vorgenommen haben, ist ohne finanzielle Unterstützung nicht möglich. Haben Sie Sponsoren?

Ja. Es gibt iranische Großunternehmer im Ausland, die sich bereit erklärt haben, unsere Arbeit zu unterstützen.

Kann man sie auch nennen?

Ali Ale-Reza, der in Kalifornien lebt, hat mit 100.000 Dollar den Anfang gemacht. Es gibt Bestrebungen vonseiten iranischer Unternehmer in Europa und den USA, einen Fond zu schaffen, durch den wir die Angehörigen verhafteter Protestler und Aktivisten finanziell unterstützen können. Was wir von ausländischen Staaten erwarten, ist eine moralische Unterstützung. Ich bin mir sicher, dass die iranische Bevölkerung keine Alternative des Regimes akzeptieren würde, die nicht von demokratischen Staaten der Welt akzeptiert wird.

Wie ist die Resonanz auf die Gründung Ihres Rates in persischsprachigen Medien?

Wir haben sehr viele Interviews mit TV-Sendern und Online-Portalen im Ausland wie BBC, Deutsche Welle, Iran International gehabt. Dazu haben wir Social-Media-Experten, die unsere Nachrichten via Twitter, Instagram und andere Netzwerke verbreiten. Das heißt, die iranische Bevölkerung ist über unser Vorhaben informiert.

Und wie ist die Reaktion der politischen Gruppierungen, die nicht im Rat vertreten sind?

Wenn eine neue Initiative entsteht, rückt in der Regel das Konkurrenzdenken in den Vordergrund, die Initiative wird kritisch beäugt. Aber mit der Zeit klärt sich das. Wir müssen sehr viel Überzeugungsarbeit leisten, haben also noch eine lange Strecke vor uns, um Vertrauen zu schaffen. Aber wir sind optimistisch. Wir werden auch Fehler machen und wir werden Rückschläge erleben, aber wir werden unseren Weg weitergehen. Aus dem Iran haben wir bisher eine gute Resonanz. Nur ein Beispiel: Etwa 200 soziale Aktivistinnen und Aktivisten haben sich bis jetzt gemeldet und ihre Unterstützung angeboten. Mit den Lehrer- und Arbeitergewerkschaften, aber auch mit Vertretern der ethnischen Minderheiten, insbesondere aus Azerbaidschan, Kurdistan und Belutschestan, haben wir gute Dialoge.

Die Bevölkerung erwartet von demokratischen Oppositionellen Einigkeit, aber die gibt es leider noch nicht. So werden die Menschen zu Recht die Frage stellen: Wenn Ihr Euch nicht einig seid, wie wollt Ihr dann ein multiethnisches, multireligiöses Land zusammenhalten?

Im Netz haben einige Oppositionelle Ihre Vorstellung von einem föderalen System als Alternative zum islamischen Regime kritisiert. Wie berechtigt ist diese Kritik?

 Wir haben nirgends erwähnt, dass wir ein föderales System im Iran wollen. Wir sind für eine dezentrale Machtstruktur und nicht mehr.

Was bedeutet das genau?

Es bedeutet, dass nicht alle staatliche Macht einer Zentralregierung übertragen wird. Zum Beispiel soll der Gouverneur einer Provinz nicht durch die Zentralregierung ernannt werden, sondern durch Provinzwahlen. Wir wollen, dass Persisch Amtssprache bleibt und der Schulunterricht in Persisch stattfindet, aber in den Schulen der Provinzen soll auch die Sprache der jeweiligen Ethnien unterrichtet werden. Der Jahreshaushalt einer Provinz soll von den zuständigen Stellen in der Provinz festgelegt werden und nicht in der Hauptstadt. Die Polizisten in den Provinzen sollen nicht von der Zentralregierung ausgewählt oder eingesetzt werden, sondern von den zuständigen Behörden innerhalb der Provinz, und so weiter. Aber etwas Grundsätzliches: Was wir heute wollen, ist nicht eine Regelung für alle Zeiten. Wie die Regierungsform nach der Islamischen Republik und deren Verfassung aussehen soll, wird die verfassungsgebende Versammlung bestimmen und nicht wir.

Ein Witz unter Iranern besagt: Wenn zwei Iraner zusammen sind, diskutieren sie über Politik, zu dritt bilden sie eine Partei, und wenn noch jemand dazu kommt, dann gibt es eine Spaltung und es entstehen zwei und später mehr Strömungen. Wie lange geben Sie Ihrem Rat in der heutigen Konstellation?

 Dieser Witz hatte in der Vergangenheit seine Berechtigung, ist aber heute nicht mehr zeitgemäß. In den letzten 15 Jahren beobachten wir eine umgekehrte Entwicklung, eine große Bestrebung innerhalb der Opposition, sich zu einigen. Die Iranerinnen und Iraner haben in den vergangenen 40 Jahren viel unter der Zersplitterung und den Feindschaften, die vom islamischen Regime gefördert wurden, gelitten. Gleichzeitig haben sie viele Erfahrungen gesammelt, Erfahrungen, die für einen modernen Iran in Zukunft von großer Bedeutung sein werden.♦

Das Interview führte Farhad Payar