Brief an Josep Borrell: Navid Afkari und Alexej Anatoljewitsch Nawalny, Staaten, im Krieg gegen ihre eigenen Bürger

Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für

Außen- und Sicherheitspolitik

Außenminister der

Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

 

Mit großer Bewunderung haben wir die Haltung der Mitglieder der Europäischen Union hinsichtlich der Vergiftung von Alexej Anatoljewitsch Nawalny, der führenden Figur der russischen Opposition, beobachtet. Es ist sowohl aufsichtsrechtlich als auch moralisch geboten, das Leben der Opposition im Kontext diktatorischer politischer Systeme zu schützen. Im Falle der Islamischen Republik Iran haben wir jedoch keine solche Positionierung erkennen können. Seit dem Aufstand und den Massenprotesten vom August 2018 und November 2019 führt das Regime in Teheran einen umfassenden Krieg gegen die in seinem Griff befindliche Bevölkerung. Wir waren Zeuge wöchentlicher Bestrafungen und Hinrichtungen von Mitgliedern der Opposition oder von Bürgern, die protestierten, um ihre Grundrechte einzufordern. Wir sind uns der Fälle bewusst, in denen die EU-Regierungen diese Situation im Iran kritisiert haben, aber das hat wenig bis gar nichts bewirkt. Daher fragen wir uns, ob eine ähnliche Politik wie im Falle Russlands und Alexej Nawalny auch im Falle der Islamischen Republik Iran durchgesetzt werden sollte, welche eine wirksamere Resonanz finden würde. Nach dem Mykonos-Attentat vom 17. September 1992 haben die EU-Staaten ihre Botschafter abberufen und ihre Wirtschaftsbeziehungen zum iranischen Regime eingeschränkt. Damals wurden 3 Vorsitzende der Kurdischen Demokratischen Partei Irans und ihre Dolmetscherin von angeheuerten Mördern des iranischen Regimes in Berlin,  ermordet. Die Haltung der EU-Staaten war so wirksam, dass keine weiteren Morde an iranischen Oppositionellen in Europa verübt wurden.

Im Vergleich zu 1992 ist das Teheraner Regime in den letzten Jahren noch skrupelloser geworden und geradezu außer Kontrolle geraten. Allein bei den Protesten im November 2019 wurden mehr als 1500 iranische Bürger ins Visier genommen und getötet, weitere 3000 Bürger wurden inhaftiert. Die Gefangenen werden seither ohne das Grundrecht auf Zugang zu juristischem Beistand oder

Öffentlichkeit verfolgt. Todesurteile werden verhängt, ohne dass die Öffentlichkeit – im In- oder Ausland – davon Kenntnis erhält. Es wurde berichtet, dass Navid Afkari vor seiner Hinrichtung durch Erhängen massiv gefoltert wurde, und um zu verhindern, dass seine Familie von den körperlichen Spuren etwas erfährt, wurde ihnen seine Leiche nicht gezeigt und tatsächlich in der Dunkelheit begraben. Zusätzlich zur Ermordung von Mitgliedern der Opposition im Iran hat das Regime begonnen, die Opposition auch im Ausland zu verfolgen und auf sie zu zielen. Laut Geheimdienstinformationen der amerikanischen Sicherheitsorganisationen hat das Regime in Teheran jetzt das Leben und die Existenz bekannter Oppositioneller in Europa im Visier. Wir sind daher der Meinung, dass die Politik der EU-Staaten gegen das Regime in Teheran unverzüglich überdacht und neu kalibriert werden muss.

Sehr geehrter Herr Borrell, sehr geehrter Herr Minister, wir glauben, dass die menschenrechtsorientierte und lebensrettende Politik der EU-Staaten nicht ausschließlich auf den Fall von Herrn Alexej Anatoljewitsch Nawalny beschränkt bleiben sollte. Dieselben Schritte, die Sie gegen das Regime von Herrn Putin unternommen haben, müssen in ähnlicher Weise auch gegen das mörderische Regime in Teheran unternommen werden. Eine solche Politik könnte auch dazu führen, dass die terroristischen Aktivitäten des militanten Armes des Regimes in der Region und vor allem im Jemen reduziert wird, was im dringlichen Interesse der europäischen Staaten liegt.

 

Mit freundlichen Grüßen,

Im Namen des Exekutivausschusses

 

Dr. N. Barati-Novbari

alias Mehran Barati

Abteilung für Internationale Angelegenheiten

  1. September 2020