Iran: Nasrin Sotoudeh kämpft für Menschenrechte, nun ist sie wieder im Gefängnis

Sind voneinander getrennt: Nasrin Sotoudeh und ihr Ehemann Reza Khandan

Foto: BEHROUZ MEHRI/ AFP

 

Die renommierte Anwältin Nasrin Sotoudeh, 57, kämpft in ihrer Heimat Iran für die Menschenrechte. Zuletzt beschrieb sie 2018 im SPIEGEL, wie sie Frauen half, die gegen Irans Kopftuchpflicht verstoßen hatten. Kurz darauf wurde sie verhaftet und in zwei Prozessen zu 38,5 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt. Im August dieses Jahres begann sie einen Hungerstreik, um auf die schlimmen Bedingungen in der Haftanstalt aufmerksam zu machen, wo Covid-19 grassiert. Diesen Monat wurde sie ins Krankenhaus verlegt, sie wog nur noch 47 Kilogramm. Nun wurde sie gerade zurück ins Evin-Gefängnis gebracht, erzählt ihr Ehemann, Reza Khandan, 56.

SPIEGEL: Von wem haben Sie erfahren, dass Ihre Frau ins Krankenhaus gebracht wurde?

Khandan: Mein Telefon klingelte, sechs Mal, aber jedes Mal wurde die Leitung sofort getrennt, als ob der Anrufer aufgelegt hätte. Ich erkannte die Nummer, es war die vom Evin-Gefängnis, von der mich Nasrin immer kontaktiert hatte, wenn sie anrufen durfte. Aber mich anzurufen und sofort aufzulegen – das gab es noch nie. Es waren die Freundinnen und Zimmergenossinnen meiner Frau, die versuchten, mich aus dem Gefängnis anzurufen. Schließlich wurde ich vom Ehemann einer Zellengenossin Nasrins angerufen. So habe ich dann erfahren, dass sie ins Taleghani-Krankenhaus gebracht worden war, weil sie gesundheitliche Probleme hatte.

SPIEGEL: Konnten Sie Ihre Frau im Krankenhaus sehen?

Khandan: Ja, am ersten Tag in der Notaufnahme. Da war es nicht so streng, jeder konnte dort ein- und ausgehen. Es waren wegen Nasrin nur zwei Soldaten da, eine Frau und ein Mann. Ihn kannte ich, weil er für die Sicherheit im Besuchsraum des Evin-Gefängnisses zuständig ist. Eigentlich eine sehr nette Person. Wir konnten uns Nasrin einzeln nähern und uns einige Minuten mit ihr unterhalten – auch die Kinder. Nima, unser jüngerer Sohn, durfte sie umarmen. Aber als sie auf die Intensivstation verlegt wurde, war es damit aus. Ein Aufpasser verhinderte, dass wir sie sehen konnten. Man nannte mir dafür keine Gründe. Es heißt lediglich, der Staatsanwalt erlaube nicht, dass sie besucht werde.

SPIEGEL: Sie erzählen, dass sie zuletzt in Haft 47 Kilogramm gewogen habe. Haben Sie den Eindruck, sie hatte noch weiter abgenommen?

Khandan: Ich konnte sie am ersten Tag in der Notaufnahme nur kurz sprechen, einige Sekunden. Hallo, wie geht’s, gut. Mehr war nicht möglich. Sie wog zuletzt im Gefängnis weniger als 47 Kilo. Sie hat also wenig Muskeln und Fett, das sie noch verlieren könnte. Wenn sie noch weiter abgenommen haben sollte, war es nicht merklich. Aber ich hatte den Eindruck, dass sie körperlich und geistig schwächer geworden war.

SPIEGEL: Wie war es, als sie im Evin-Gefängnis in Haft war?

Khandan: Evin ist eigentlich ein Männergefängnis, aber die Justiz zieht es vor, eine Reihe weiblicher politischer Gefangener dort zu behalten und sie nicht in das Frauengefängnis Qarchak in Varamin bei Teheran zu schicken, um sie besser kontrollieren zu können. Der Frauenflügel im Evin-Gefängnis besteht aus drei Zellen, in der unterschiedlich viele Frauen untergebracht sind. Seit die Corona-Pandemie ausgebrochen ist, wird ein Raum als Quarantänezelle für Neuankömmlinge benutzt. Insgesamt waren sie zuletzt ungefähr 44 Frauen. Es gibt nicht genug Betten, manche schlafen auf dem Boden.

“Die letzten anderthalb Monate haben wir sie überhaupt nicht gesehen.”

Reza Khandan, Ehemann von Nasrin Sotoudeh

SPIEGEL: Wie oft haben Sie Ihre Frau dort besuchen können?

Khandan: Wenn eine Gefangene dort im normalen Strafvollzug untergebracht ist, darf sie in der Regel einmal in der Woche Besuch empfangen – zwischen 20 Minuten und einer Stunde lang. Vor Corona konnte man manchmal ungestört miteinander sprechen und sich sogar umarmen. Seit Februar durfte ich Nasrin nur in einer Kabine sehen. Wir waren durch eine Glasscheibe getrennt und konnten durch den Hörer sprechen. Als unsere Tochter Mehraveh vor ein paar Wochen vorübergehend auch verhaftet wurde, wollte Nasrin dagegen protestieren. Sie war bereits im Hungerstreik und konnte keinen zweiten Streik anfangen. Getränke zu verweigern, das führt meist sehr schnell zum Tod. Also sagte sie: “Ich werde meinen Kabinenbesuch aus Protest unterbrechen!” Die letzten anderthalb Monate haben wir sie überhaupt nicht gesehen.

SPIEGEL: Ihre Frau wurde nun aus dem Krankenhaus zurück in das Evin-Gefängnis gebracht. Wird sie ihren Hungerstreik fortsetzen?

Khandan: Sie glaubt, sie werde bald Ergebnisse sehen. Es wird nicht leicht, sie zur Umkehr zu bewegen. Ich dagegen bin der Ansicht, dass schon etwas erreicht wurde: Sie wollte die Öffentlichkeit auf die Situation der Gefangenen in Iran aufmerksam machen und das hat sie erreicht. Ich bin nicht sehr optimistisch, dass mehr erreicht wird – etwa, dass Gefangene freigelassen oder deren Haftbedingungen verbessert werden, wie Nasrin fordert.

SPIEGEL: Viele Iraner protestieren in sozialen Medien gegen die wieder häufigeren Hinrichtungen politischer Gefangener.

Khandan: Das ist richtig. Aber der Hungerstreik von Nasrin und das, was sie im Laufe ihres Berufslebens gemacht hat, dreht sich auch darum. Selbstverständlich wollen auch wir, dass die zum Tode Verurteilten im Mittelpunkt stehen, damit sie gerettet werden können. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Machthaber erneut den Prozess gegen Nasrin führen und sie zum Tode verurteilen. Diese Vorstellung macht mir Angst.